Olympiamärchen und ein rabenschwarzer Tag

Ein japanischer Überflieger, ein Wechselbad der Gefühle für Karl Geiger und Co., ein Altmeister Manuel Fettner auf Wolke sieben und ein schwarzer Tag für das Skispringen: Die olympischen Tage hatten es für die Schanzen-Adler in sich. AVIA zieht mit Experte Gerd Siegmund ein Resümee der Winterspiele auf den gigantischen Anlagen in Zhangjiakou.


AVIA: Hallo Gerd, fangen wir mal mit dem letzten Wettkampf an. Lässt sich aus deutscher Sicht sagen: Ende gut, alles gut?

Gerd Siegmund: Vielleicht nicht ganz. Das Bronze im Team fühlt sich zwar ein bisschen wie Gold an, weil es so knapp war und auf der Normalschanze alles so zäh begonnen hatte. Aber ehrlicherweise waren von der Ausgangslage die Erwartungen etwas höher. Deshalb war es schon Balsam, wie die deutschen Männer mit einem überragenden Markus Eisenbichler ihre zweite Medaille geholt haben.

AVIA: Die erste gewann Karl Geiger, der sich nach Platz 15 auf der Normalschanze aufrappelte. Was sagst Du zum Allgäuer, auf dem ja die größten Hoffnungen ruhten?

Gerd Siegmund: Das ist nicht nur für die Trainer und ihn selbst ein großes Rätsel, auch für mich. Dass er vom ersten Trainingssprung an so chancenlos war, ist sicher ein Schock für ihn gewesen. Das macht etwas im Kopf, wenn Du im Gelben Trikot an-reist und dann plötzlich so hinterher-fliegst. Da hat er erst mal zwei Tage gebraucht, um sich zu sortieren. Über die Gründe lässt sich nur spekulieren, etwa, ob die Anzüge in der Höhe nicht optimal waren, ob mental et-was nicht gepasst hat. Schon Wahn-sinn. Ich hätte mein ganzes Vermögen auf Karl gewettet.

AVIA: Hättest Du mal Deine Reichtümer auf Manuel Fettner gesetzt…

Gerd Siegmund: Reichtümer? Ich stamme aus einem verarmten Land-adel ... Aber Spaß beiseite. Manuel Fettner verkörpert eines dieser Olympiamärchen. Wie er mit 36 Jahren Gold und Silber ersprungen hat – das war einfach unglaublich! Ich denke, im Frühjahr wussten im Österreichischen Skiverband nicht mal alle, dass er überhaupt noch springt. Über den FIS- und Continental-Cup hat er sich in den Weltcup bis zu Olympia hochgearbeitet. Wahnsinn! Es zeigt denen, die jetzt auch in den Seilen hängen: Es ist auch im hohen Skisprungalter noch möglich ist, wie-der ganz vorn anzugreifen.

AVIA: Nur ein Ryoyu Kobayashi scheint – egal, ob der Wind von vorn oder hinten bläst –über den Dingen zu stehen, oder?

Gerd Siegmund: Ja. Der erste Sprung auf der Normalschanze war einer fürs Lehrbuch, unfassbar stark. Es ist kein Zufall, dass er als einziger Springer zwei Medaillen in den Einzeln holte. Deshalb freue ich mich auch auf den Rest der Weltcupsaison, in der es zu einem spannenden Zweikampf mit Karl Geiger um die große Kristallkugel kommen könnte.

AVIA: Lass uns noch bei den Winterspielen bleiben. Sicher gab es Sieger und Verlierer, aber insgesamt dürften viele Nationen mit einem Lächeln heimkehren, oder?

Gerd Siegmund: Ja, viele Nationen fahren mit Edelmetall zurück. Wir hatten bei den Damen ja auch noch Silber durch Katharina Althaus, eine Superleistung. Bei den Männern sind den Österreichern im Team bei wechselnden Winden in der Summe die wenigsten Fehler unterlaufen, Gold war absolut verdient. Norwegen hat mit Marius Lindvik ebenso seinen Olympiasieger. Er war an diesem Tag der Beste auf der Großschanze. Und Slowenien geht mit zweimal Gold und einmal Silber in die Heim-WM in Planica im kommenden Winter.

AVIA: Einige Nationen dürften im Flieger in die Heimat ungläubig auf ihre Medaillen schauen. An wen denkst Du da besonders?

Gerd Siegmund: Selbst für den russischen Bär ist Peking eine gute Show gewesen - mit Silber im Mixed. Bei ihnen hat sich aber schon zuvor an-gedeutet, dass sie sich im Aufwind befinden. Selbst die in der Saison schwächelnden Polen haben mit Dawid Kubacki und Bronze auf der Normalschanze etwas abbekommen. Er hat zum richtigen Zeitpunkt gute Sprünge gezeigt, hat sich diese Medaille auch verdient. Und dass Kana-da im Mixed Bronze holt, gut, es war ja kein anderer mehr da. Die Kandier können nichts dafür, dass die anderen die Regeln nicht einhalten.

AVIA: Das Anzugchaos mit fünf Disqualifikationen bei den Damen im Mixed-Wettbewerb wirft einen Schatten auf die Sportart. Erkläre uns doch bitte, was da los war?

Gerd Siegmund: Boah, das war tat-sächlich ein rabenschwarzer Tag für das Skispringen, ein Desaster für alle Beteiligten. Generell meine ich, jeder Athlet oder Athletin ist für das eigene Material selbst verantwortlich. Fakt ist, es gibt Regeln und die wurden nicht eingehalten. Komisch, dass die Springerinnen vorher nicht sanktioniert wurden. Wenn Du zehnmal bei Rot über die Ampel fährst und es geht zehnmal durch, dann war es schon vorher nicht richtig und verboten. Also wurden bereits vorher Fehler begangen.

AVIA: Es heißt, bei Olympia wurde auf einmal anders gemessen?

Gerd Siegmund: So hat es den An-schein. Und damit sind die Damen bitter vorgeführt worden. Ich verstehe nicht, warum diese Thematik nicht spätestens beim Mixedwettbewerb zuvor in Willingen geklärt wurde. Da kann sich jetzt niemand freisprechen. Es ist auch schwer zu beurteilen, ob die Athletinnen tatsächlich dieselben Anzüge wie im Einzel verwendet haben. Und wir werden es vielleicht nie herausfinden, ob es stimmt, dass es vor Olympia bereits Verwarnungen an die Sportlerinnen gegeben hat.

AVIA: Können wir irgendwie einen positiven Abschluss für unser Gespräch finden?

Gerd Siegmund: Ich bin mir sicher, dass es im Nachgang einige Gespräche dazu geben wird. Solche Entscheidungen beeinflussen ja auch Lebensläufe. Es hätte auch gut passieren können, dass Selina Freitag ei-ne Medaille mit heimgenommen hätte. Da hängen viele Dinge dran. Als positiven Abschluss nehme ich die dramatische und spannende Entscheidung im letzten Wettkampf, im Team. 0,8 Punkte vor den viertplatzierten Norwegern sind ja ein riesiger Abstand im Vergleich zu den 0,1 Zählern, die Deutschland 2002 beim Gold vor Finnland mehr hatte.

AVIA: Das stimmt. Vielen Dank fürs Gespräch

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News: Wintersport
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