AVIA: Hallo Gerd, bist du auch immer noch erstaunt, was Pius Paschke gerade abreißt?
Gerd Siegmund: Ja, unglaublich. Da batteln sich vor ihm die Springer schon erstklassig, gerade die Österreicher; und dann kommt Pius und setzt noch einen drauf. Der Sonntag war vielleicht der stärkste in seinem Springerleben. Erst die Quali gewonnen und dann den Wettkampf. Es hat den Anschein, das Gelbe Trikot beflügelt ihn. Das Selbstvertrauen hat er ohnehin. Und das kompensiert wie am Samstag kleinere Fehler, auch wenn das schwer erklärbar ist.
AVIA: Und das leistet er nach vielen Jahren im Mittelmaß nun mit 34 Lenzen…
Gerd Siegmund: Ich denke sogar, dass ihm das Alter hilft, alles gut einzuordnen und bei sich zu bleiben. Bei seiner aktuellen Dominanz sehe ich fast schon Parallelen zu Ryoyu Kobayashi und Stefan Kraft, als sie in jüngster Vergangenheit ebenso stark in eine Saison gestartet waren. Und apropos Alter: Auch Gregor Deschwanden und Stefan Kraft sind nur ein bzw. drei Jahre jünger als Pius. Routine zählt also nach wie vor etwas im Skispringen.
AVIA: Ist dir außer den deutsch-österreichischen Festspielen noch etwas in Wisla aufgefallen?
Gerd Siegmund: International betrachtet konnten die Norweger in der Breite etwas besser abschneiden, auch wenn das Podest noch fehlt. Ein guter Ren Nikaido fängt ein bisschen die Probleme, die Ryoyu Kobayashi nach wie vor hat, auf. Mit Kobayashi rechne ich aber mit Blick auf die Tournee noch. Bei den Slowenen ist Timi Zajc derzeit eher der Alleinunterhalter, was die Top-10 angeht. Und die Polen haben auch schon bessere Heimweltcups erlebt.
AVIA: Wobei es mit Kamil Stoch und Co. eben nicht so funktioniert mit dem Wein, der – in die Jahre gekommen – besonders mundet…
Gerd Siegmund: Ja, aber ich würde Stoch, Dawid Kubacki oder Piotr Zyla nicht abschreiben. Offenbar hat die Einzelbetreuung durch Trainer Michal Dolezal bei Kamil nicht gezündet. Letztlich hilft alles nichts. Sie müssen jetzt einfach – auch wenn das von außen leicht gesagt ist – die Arschbacken zusammenkneifen und weiter beharrlich arbeiten.
AVIA: Was erwartest du vom Heimspiel in Titisee-Neustadt?
Gerd Siegmund: Auf jeden Fall eine tolle Kulisse, wenn ein Deutscher als Weltcupführender anreist. Sportlich betrachtet wird es ein bisschen anders, weil die Hochfirstschanze noch ein etwas älteres Profil und als Naturanlage auch eine natürliche Eisspur besitzt. Stefan Kraft hat schon gesagt, er freut sich darauf, wenn es im Anlauf so richtig kracht und rumpelt.
AVIA: Und das gibt es bereits am Freitag im TV zu sehen und zu hören?
Gerd Siegmund: Ja, da geht bereits der Superteamwettkampf über die Bühne. Weil er im nächsten Winter statt des Teamwettkampfs im olympischen Programm steht, ist das nicht ganz unwichtig. Es gibt bei diesem Format also nur zwei Springer pro Nation und dafür drei Wertungsdurchgänge.
AVIA: Und ein Trainer freut sich gewiss ganz besonders auf Titisee-Neustadt…
Gerd Siegmund: Ich nehme an, du meinst den Bundestrainer. Er wohnt ja mit seiner Familie im Ort, fällt quasi aus der Haustür raus und ist an der Schanze – die kürzeste Weltcupanreise ever. Ich werde Stefan Horngacher also mal fragen, ob er bei dem Weltcup Heimschläfer ist oder im Hotel wohnt. Nächste Woche gibt es dann die Auflösung.
AVIA: Danke fürs Gespräch.