Lieber mit weniger Fans als gar keine Skispringen

In sechs Wochen steht der erste Skisprung-Weltcup auf dem Programm. Aufgrund der Corona-Pandemie gibt es wie in allen gesellschaftlichen Bereichen so viele Unbekannte wie noch nie vor dieser anstehenden Wintersaison. AVIA hat bei seinem Experten Gerd Siegmund nachgefragt.


AVIA: Hallo Gerd. Corona war unser Thema zum Ende der letzten Saison, und nun hat uns Corona immer noch fest im Griff. Hattest Du das für möglich gehalten?

Gerd Siegmund: Es überrascht mich nicht. Ich bin weder Verschwörungstheoretiker noch vielleicht ganz ängstlich, aber dass so eine Pandemie von heute auf morgen verschwindet, wäre wohl Wunschdenken gewesen. Jetzt müssen alle Beteiligten mit der Situation leben und versuchen, dass wir den Winter mit seinen Highlights wie der Skiflug- und der nordischen WM, der Vierschanzen- und der Raw-Air-Tournee und somit auch der Gesamtweltcup durchbekommen.

AVIA: Bei den drei Sommerwettkämpfen in Wisla hießen Dawid Kubacki sowie zweimal Martin Hamann im Conti-Cup die Sieger. Welche Aussagekraft besitzen die Ergebnisse?

Gerd Siegmund: Sportlich betrachtet war die Sommerserie auch ohne Corona in der Vergangenheit nur bedingt aussagekräftig. Die Athleten haben da oft experimentiert und trainingsmethodisch unterschiedlich Prämissen gesetzt. Dass die polnischen Springer wie Tourneesieger Dawid Kubacki oder Kamil Stoch zur Weltklasse gehören und dies auf ihrer Heimschanze auch zeigen, war abzusehen. Die Starterfelder beim Grand-Prix sind wegen der Pandemie auch nicht so gut besetzt gewesen wie es zum Beispiel beim Finale in Klingenthal üblich war.

AVIA: Der Ski-Weltverband FIS preist die Wisla-Springen als Meilenstein in Bezug auf das Konzept, wie man in Corona-Zeiten Skispringen veranstaltet. Was meinst Du dazu?

Gerd Siegmund: In jedem Fall sind die Wettkämpfe in Wisla gut gewesen, um Abläufe, Verfahrensweisen zu testen und vielleicht auch Schwachstellen von Konzepten herauszufinden. Wir wissen jetzt, wie es gehen kann, aber sicher nicht, was noch auf uns zukommt.

AVIA: Die FIS hat ihr Regelwerk, was die Austragung von Weltcups angeht, zwar wegen Corona modifiziert. Der Verband plant aber mit einem Kalender, als würde es die Pandemie nicht geben. Was würdest Du vorschlagen, wenn Du in der FIS etwas zu sagen hättest?

Gerd Siegmund: Ich möchte nicht den Besserwisser spielen, aber wenn man mich fragen würde, hätte ich den Weltcupkalender in Block-Veranstaltungen aufgeteilt. So wäre es einfacher, in der sogenannten Blase mit allen Schutzmaßnahmen mehrere Wettkämpfe durchzuführen. Der Reiseaufwand und damit auch das Risiko würden so minimiert. Andere Verbände wie Biathlon setzen auf dieses Konzept. Oberhof zum Beispiel erlebt im Januar zwei Weltcupwochen.

AVIA: Hast Du einen konkreten Vorschlag für die Block-Termine?

Gerd Siegmund: Hätte ich. Ich würde in Kuusamo starten, danach in der Woche in Kuopio springen und am Wochenende Lahti gleich anschließen. Der nächste Block beginnt mit der Skiflug-WM in Planica, es folgt Engelberg. Nach Weihnachten gibt es die Vierschanzentournee. Daran schließt sich eine Deutschlandtour mit Titisee-Neustadt, Klingenthal, Oberhof und Willingen an. 

AVIA: Schlägt da nicht ein bisschen zu sehr Dein deutsches Springerherz?

Gerd Siegmund: Das mag sein. Aber weiß nicht, ob es gut ist, aufgrund der zu erwartenden Reise- bzw. Quarantänebestimmungen Weltcups mit Russland oder Japan zu planen. Auch Peking wird eine Herausforderung. Wenn die olympischen Testwettkämpfe unbedingt stattfinden sollen, dann würde ich sie anstatt des Weltcupfinales in Planica durchführen oder auf das Wochenende nach Planica verlegen.

AVIA: Und wie geht es nach Willingen weiter?

Gerd Siegmund:  Mit den Springen in Wisla und Zakopane, dann würde ich Rasnov in Rumänien anbieten, auch wenn dorthin vor der WM in Oberstdorf vermutlich nicht mehr alle Athleten reisen werden. Nach der WM kommt noch die Raw-Air-Tournee mit den Stationen in Oslo, Lillehammer, Trondheim und Vikersund.

AVIA: Danke Gerd, dass Du mit uns ein bisschen Pippi Langstrumpf gespielt hast. Wir machen uns gern die Skisprungwelt, wie sie uns gefällt… Aber wie soll das ohne oder mit nur wenigen Zuschauern zum Beispiel bei einer Vierschanzentournee gehen?

Gerd Siegmund: Darüber sind wir uns alle einig, dass Skispringen, der Sport von Emotionen lebt und die Fans das Salz in der Suppe sind. Doch ich bin auch der Meinung: Lieber eine Tournee ohne oder mit weniger Zuschauern als gar keine. Die Weltcups, eine WM, die Präsenz insgesamt sind enorm wichtig, für die Verbände, die die TV-Einnahmen benötigen und für den Nachwuchs, die Vorbilder brauchen.

AVIA: Danke fürs Gespräch.


Das wird anders im Skispringen

Die Schweizer Skispringer Andreas Schuler und Killian Peier sind positiv auf Covid-19 getestet worden. Aus diesem Grund mussten die am 10./11. Oktober geplanten nationalen Titelkämpfe der Eidgenossen verschoben werden. Beide wollen zum Weltcupauftakt in Wisla (21./22. November) wieder fit sein.

Für die Athleten gelten bei den Weltcups Vorgaben gemäß dem von den örtlichen Gesundheitsbehörden bestätigten Hygienekonzept. Ähnlich wie in den Fußballstadien der Proficlubs werden die Sportler von den Fans getrennt. Beim Sommer-Grand-Prix in Wisla wurde rundum im Auslauf eine Plexiglas-Scheibe vor den Zuschauerrängen montiert, dies ist aber keine zwingende Maßnahme der OKs. Die Teams müssen Auflagen bei der Anreise, Verpflegung oder Unterbringung erfüllen. Gegebenenfalls gilt im Veranstaltungsgelände Maskenpflicht, was in Wisla laut FIS-Renndirektor Sandro Pertile  gut funktionierte.

Ob ein Athlet einen Corona-Test quasi als Starterlaubnis benötigt, richtet sich nach den gerade geltenden Bestimmungen in seinem Heimatland in Bezug auf das Einreiseland. Die Teams aus Japan sowie den USA und Canada planen den gesamten Winter, die Springen in Sapporo und Peking natürlich ausgenommen, in Europa zu bleiben. Das minimiert das Risiko, bei der Heimreise in Quarantäne zu müssen. Sandro Pertile schwebt eine Art Corona-Pass vor. Der soll ähnlich des Anti-Doping-System Adams Auskunft über die Aufenthaltsorte der Athleten geben. 

Die FIS hat im Zuge der Pandemie sein Regelwerk, und zwar disziplinübergreifend auch in der Nordischen Kombination und im Skilanglauf, angepasst. Demnach sollen mindestens sieben der Top-10-Nationen in das Land der Veranstaltung einreisen können und zwar ohne nach der Ein- oder Ausreise in Quarantäne zu müssen. Ansonsten droht eine Absage des Weltcups.

30 Tage vor der Mannschaftsführersitzung wird dieser Punkt von den Ausrichtern gemeinsam mit der FIS geprüft. Was die erlaubte Zuschauerzahl angeht, so richtet sich diese letztlich nach den Vorgaben der nationalen und regionalen Gesundheitsbehörden. In Kuusamo am zweiten Weltcupwochenende werden keine Fans zugelassen, das steht nach Angaben der finnischen Organisatoren bereits fest. Zakopane plant dagegen mit einer temporären Tribüne mit entsprechenden Abständen zwischen den Sitzplätzen.
 

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News: Wintersport
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