FIS reagiert: Weltskiverband untersagt getunte Schuhkeile und Anzüge

Der Weltskiverband FIS hat auf die zunehmenden Knieverletzungen durch Landestürze im Skispringen reagiert: Mit einem modifizierten Reglement im Schuhbereich soll Kreuzbandrissen wie zuletzt bei Deutschlands Topspringer Stephan Leyhe vorgebeugt werden. AVIA hat Gerd Siegmund zu den neuen Materialregeln befragt. Unser Skisprungexperte spricht außerdem über den neuen Renndirektor Sandro Pertile, den neuen Winterkalender und neue Cheftrainer in der nächsten Saison.


AVIA: Hallo Gerd, was sagst Du zu den modifizierten Materialvorgaben?

Gerd Siegmund: Ich finde, es ist ein guter Kompromiss gefunden worden. Auf der einen Seite hat man den Bindungsbereich unverändert gelassen, um das sichere Flugsystem nicht zu gefährden. Dass Schuhkeile nun symmetrisch sein müssen, also an der Außenseite nicht verstärkt werden dürfen sowie eine Keildicke von maximal 5,5 Zentimetern vorgeschrieben wird, ist für die Athleten machbar - und für die FIS mit einer extra entwickelten Pass-Schablone auch gut kontrollierbar. 

AVIA: Auch an der äußeren Schuhseite, bzw. an der Sohle, dürfen keine Verstärkungen eingebaut werden.

Gerd Siegmund: Ja, die ganze Tüftelei diente ja dem Ziel, die Planstellung der Ski in der Luft und damit den Trageeffekt zu fördern. Nur für einen sauberen Telemark war das nicht mehr förderlich gewesen. Nun hat der Weltverband einen Riegel vorgeschoben. Auch das Tuning der Anzüge wird eingedämmt, was vor allem kleineren Nationen mehr Chancengleichheit bringen soll.

AVIA: Was ist neu an den Anzugvorschriften?

Gerd Siegmund: Eine Naht im Schrittbereich wurde verboten. Zudem dürfen die Anzughersteller nicht mehr Stoffe unterhalb des zulässigen Grenzwertes für die Luftdurchlässigkeit herausgeben. Die Top-Nationen hatten solche Stoffe gekauft und mittels Nähmaschinen quasi mit heißer Nadel die Anzüge solange bearbeitet, bis sie die vorgeschriebene Durchlässigkeit erzielten. 

AVIA: Das klingt kompliziert. Sind so die Disqualifikationen vor allem zu Saisonbeginn zu erklären?

Gerd Siegmund: Ich denke schon. Aber klar ist auch: Trotz dieser Tuningverbote werden die Springer weiter versuchen, mit legalen Mitteln das Material auszureizen.

AVIA: Welchen Effekt könnten die Veränderungen, insbesondere die symmetrischen Schuhkeile, bringen?

Gerd Siegmund: Dass der Springer das Knie bei der Landung nicht mehr so sehr nach innen verdrehen muss und den Ski verkantet, ist ein Effekt. Was die Anzüge betrifft, so könnten sie ein halbes km/h mehr Geschwindigkeit im Anlauf bewirken. Dann wird es vielleicht mit der zur Verfügung stehenden Anlauflänge auf einigen Schanzen nicht mehr so knapp. 

AVIA: Erwartest Du durch die Änderungen, dass die Ergebnisse durcheinandergewirbelt werden?

Gerd Siegmund: Nein, die Springer haben im Sommer Zeit für die Umstellung. Der eine wird vielleicht etwas länger benötigen, der andere schneller mit den neuen Gegebenheiten zurechtkommen. Sportfachliche Dinge spielen immer noch eine größere Rolle als materialtechnische Feinheiten. 

AVIA: Was sagst Du zum vorläufigen Terminkalender der Saison 2020/21?

Gerd Siegmund: Ich finde ihn sehr interessant und spannend. Klar kommt die Skiflug-WM in Planica Mitte Dezember sehr früh, aber das trifft ja alle gleich. Und in Kuusamo und Nischni Tagil geht es zuvor schon auf sehr große Schanzen. Ich freue mich zudem, dass Rasnov in Rumänien mit der Normalschanze wieder am Start ist. Für die Entwicklung ist das gut. Zur Tournee und der WM in Oberstdorf können wir uns zudem auf Flüge auf modernisierten Schanzen freuen.

AVIA: Wird es personell in den Nationen große Veränderungen geben?  

Gerd Siegmund: Danach sieht es nicht aus. Janne Väätäinen, zuletzt als Privattrainer von Ryoyu Kobayashi und Noriaki Kasai in Japan tätig, wird Cheftrainer der Finnen. Andi Widhölzl übernimmt für Andi Felder, der Vater geworden ist, als Chefcoach in Österreich. Das kam nicht so überraschend. Widhölzl hat im B-Kader mit Gesamtplatz eins und zwei für Clemens Leitner und Clemens Aigner in der 2. Liga sehr gute Arbeit geleistet.

AVIA: Neu wird auch der Renndirektorposten mit Sandro Pertile aus Italien besetzt. Hat die FIS mit dem Nachfolger von Walter Hofer einen guten Griff getan? 

Gerd Siegmund: Davon gehe ich aus. Er war fast den ganzen letzten Winter im Weltcup dabei, ist in die Materialgeschichte involviert, spricht einige Sprachen und war früher selbst Skispringer. Natürlich hat er gleich im ersten Jahr mit der Coronakrise eine extrem schwere Aufgabe zu meistern. Aber ich denke, Sandro ist eine gute Wahl. Wir hatten auch schon ein Gespräch. Er wollte wissen, wo ich im Skispringen mögliche Verbesserungen sehe.  

AVIA: Und?

Gerd Siegmund: Da gibt es aus meiner Sicht gar nicht so viel. Skispringen hat sich zu einem ausgezeichneten Produkt gemausert. Aber besser geht ja immer. Wie, das werden wir bestimmt hier im AVIA-Interview im Saisonverlauf diskutieren. 

AVIA: Wir nehmen Dich beim Wort. Danke für das Interview.

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News: Wintersport
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