Vor der WM: Pünktlicher Absprung extrem wichtig

Die Skisprungfans schauen nach Oberstdorf, wenn auch nur via TV-Bildschirm. Vor der dritten nordischen Weltmeisterschaft im Allgäu baten wir unseren Skisprungexperten Gerd Siegmund um seine Einschätzungen, zunächst vor dem Springen von der Normalschanze.


AVIA: Hallo Gerd. Es hat wahrscheinlich geholfen, dass Du im letzten Gespräch eine Reaktion in Rasnov, beim letzten Weltcup vor der WM, fast schon herbeigeredet hast: Würdest Du sagen, Karl Geiger hat die Kurve noch rechtzeitig bekommen?

Gerd Siegmund: Zumindest vom Kopf her war der Podestplatz wichtig für die gute Laune. Ich denke, dass er in seinem Heimatort um die Medaillen mitspringen kann. Zwar ist seine Hausschanze ein bisschen größer, aber in den Abendstunden frischt der Rückenwind am Schattenberg oft etwas auf. Das könnte gut für ihn sein, denn er gilt als sehr guter Abspringer. Also fürs Selbstvertrauen war Rasnov sicher super für den Karle, aber so richtig freispringen konnte er sich auch nicht. 

AVIA: Wie bewertest Du, dass der Saisonprimus Halvor Egner Granerud und auch Markus Eisenbichler wegen eines nicht regelkonformen Anzuges disqualifiziert wurden?

Gerd Siegmund: Schwer zu sagen, ob sie mit Blick auf die WM nochmal experimentiert haben oder der Anzug unverhofft nicht gepasst hat. Das kann zwar mal passieren, sollte aber nicht. In jedem Fall war es auch ein Zeichen seitens des Kontrollsystems, dass vor prominenten Namen kein Halt gemacht wird, wenn etwas nicht dem Reglement entspricht - und dies wird sicher auch zur WM so sein.

AVIA: Wen hast Du für die Normalschanze ganz oben auf dem Zettel?

Gerd Siegmund: Es gibt einen großen Kreis an Medaillenkandidaten. Von Eisenbichler und Granerud haben wir bereits gesprochen. Markus war gleich im ersten Training gut aufgelegt. Das macht sich immer gut. Aber es sind viele, die für einen Sieg in Frage kommen. Zum Beispiel Ryoyu Kobayashi, der zuletzt zweimal gewonnen hat. Der amtierende Weltmeister Dawid Kubacki kann an einem Sahnetag seinen Coup von Seefeld wiederholen. Nicht zu vergessen Tourneesieger Kamil Stoch. Also da gibt es viele Springer, bis hin zu einer Überraschung wie 2005. Mit Rok Benkovoc aus Slowenien hatten damals die wenigstens gerechnet.

AVIA: Das Schanzenprofil hat sich seitdem nochmal etwas verändert. Wie beschreibst Du die Charakteristik der kleinen Anlage am Schattenberg?

Gerd Siegmund: Oben über dem Vorbau hat die Schanze eine etwas flachere Flugkurve. Das bedeutet, du musst den Absprung exakt treffen, die Kraft genau an der Schanzentischkante anbringen und den Sprung wirken lassen. Wenn das nicht passt, wird selbst so eine Normalschanze auch streuen.

AVIA: Noch eine Frage in eigener Sache: Wie siehst Du die Chancen, dass Martin Hamann am Samstag einen der vier Startplätze bekommt?

Gerd Siegmund: Wenn er sein schlechtes Training jetzt weghat, dann gute. Die ersten Flüge waren leider nicht so gut. Unabhängig vom Training denke ich, dass es nach Eisenbichler, Geiger und vielleicht auch noch Pius Paschke ohnehin nur um den einen offenen Platz geht. Und das wissen alle, das braucht der Bundestrainer nicht zu betonen. Es wird sich also zwischen Martin, Constantin Schmid oder Severin Freund entscheiden, wobei ich Severin eher auf der Großschanze mit den besseren Chancen sehe. Ich bin mir sicher, wenn Martin das zeigt, was er kann, sollte er der vierte Mann sein.

AVIA: Oberstdorf wird als Corona-WM ohne Zuschauer in die Geschichte eingehen. Welchen Eindruck hast Du vom Gastgeber und von den Vorbereitungen?

Gerd Siegmund: Ich war ja bei der WM 2005 als Fernsehkommentator hier mit dabei. Es ist unglaublich gewesen, welche Begeisterung herrschte, wie die Fans ins Stadion geströmt sind. Von der Seite ist es extrem schade, wie diese WM nun über die Bühne gehen wird. Aber ich würde mich wiederholen, wenn ich sage, dass es immer noch besser ist, als wenn alles ausfällt. Was die Gefährdung angeht, bin ich davon überzeugt, dass es mit dem Hygienekonzept und den zeitlich engen Testungen für alle Beteiligten eine sichere WM wird.

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News: Wintersport
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