König Kobayashi

Die olympische Skisprungsaison 2021/22 ist Geschichte und hatte die ganze Bandbreite der Emotionen, die den Sport ausmacht, zu bieten: Freudestrahlende Sieger, entsetzte Gesichter nach Enttäuschungen, beeindruckende Leistungen und spannende Wettkämpfe. Ein kleiner Japaner drückte dem Winter seinen Stempel auf. AVIA blickt im Gespräch mit Gerd Siegmund zurück.


AVIA: Hallo Gerd. Der Skisprungwinter fand in Planica einen spektakulären Abschluss. Hast Du bei dieser Flugshow nicht Lust bekommen, ein Comeback zu starten?

Gerd Siegmund (lacht): Ja klar, aber das hebe ich mir mal für den nächsten Olympiawinter 2026 in Mailand auf. Vielleicht gibt es bis dahin eine Disziplin für mich, bei der ich noch mithalten kann. Aber Spaß beiseite: Ich denke, es war für jeden etwas dabei und zu keiner Zeit langweilig. Bis zum letzten Flug wurde um Platz eins in der Nationenwertung gekämpft. Und bis zur letzten Station in Planica war auch der Gesamtweltcup offen. Aber ich denke dabei auch an solch emotionale Momente, wie sie uns Daniel-André Tande mit seinem Sieg in Oslo beschert hat.

AVIA: War Planica die Belohnung für eine zum Teil immer noch schwierige Saison unter Coronabedingungen?

Gerd Siegmund: Insgesamt gab es, egal, ob mit oder ohne Zuschauer, viele sportliche Höchstleistungen. Aber das Saisonfinale bei schönstem Wetter und vor tausenden Fans war schon genial. Zur sportlichen Qualität der Flüge braucht man nicht viel zu sagen, wenn Andreas Wellinger am Freitag mit 220 und 241,5 Metern am Ende auf Rang 19 landet.

AVIA: Auch wenn er zuletzt nicht mehr ganz so ins Fliegen kam: Ist Ryoyu Kobayashi auch für Dich der König des Winters?

Gerd Siegmund: Der Titel des Gesamtweltcupsiegers ist immer verdient, weil er die ganze Saison wider-spiegelt. Wenn man bedenkt, dass er wegen eines vermutlich falsch positiven Tests den Weltcup in Wisla verpasst hat, gibt es erst recht keinen Zweifel daran, dass er der Saisonbeste war. Er hat die Tournee gewonnen, ist Olympiasieger geworden. Al-so Ehre wem Ehre gebührt. Und diese Qualität hat sich bereits mit seinem souveränen Sieg beim Sommer-Grand-Prix-Finale in Klingenthal angedeutet.

AVIA: Wer konnte Dich noch über-zeugen?

Gerd Siegmund: Marius Lindvik hat für Norwegen zwei Einzeltitel geholt, den Olympiasieg und den bei der Ski-flug-WM. Das dürfte Norwegens Nationaltrainer Alex Stöckl in die Karten spielen. Momentan werden nach Abschluss des Olympiazyklus viele Vertragsgespräche in den einzelnen Nationen geführt. Fest steht, dass Michal Dolezal in Polen nicht weitermacht. Auch Matjaz Zupan in Bulgarien und Bine Norcic in den USA hören in diesen Ländern auf.

AVIA: Womit wir bei den deutschen Ski-Adlern gelandet sind. Glaubst Du, dass Stefan Horngacher weitermacht?

Gerd Siegmund: Ich denke schon, dass er mindestens bis zur WM in Planica Bundestrainer bleibt. Alles in allem war es eine gute Saison für Deutschland, auch wenn man nicht alles erreicht hat, was man sich vor-genommen hatte. Karl Geiger ist kein Versager, weil er bei der Vierschanzentournee am Ende Vierter und im Gesamtweltcup Zweiter geworden ist. Aber mindestens einer war eben besser, auch bei der Skiflug-WM.

AVIA: Am Saisonende war die Luft bei den deutschen Ski-Adlern etwas raus. Ist das auch Dein Eindruck gewesen?

Gerd Siegmund: Ja, aber schon bei Olympia in Zhangjiakou ist - aus welchen Gründen auch immer - die Um-stellung auf die Normalschanze nicht gelungen. In China sind die deutschen Springer mit einem blauen Auge davongekommen. Das Team-Silber bei der WM in Vikersund war dann, wie man im Fußball sagen würde, nochmal eine Energieleistung. Aber am Saisonende haben sie mannschaftlich abgebaut. Das wird man sicher auswerten müssen.

AVIA: Wo muss man ansetzen, um in Deutschland nicht irgendwann den Anschluss zu verlieren?

Gerd Siegmund: Ich denke, dass im Unterbau, im B-Kader und im Nach-wuchs schon etwas passieren muss und auch die Stützpunkte gestärkt werden müssen. In dem Zusammen-hang hoffe ich, dass Ronny Hornschuh, der zuletzt als Schweizer Nationaltrainer gearbeitet hat, mit seinen Auslandserfahrungen nach Deutschland zurückkehrt. Das gesamte System wird nur funktionieren, wenn die Kommunikation zwischen den Trainerteams wieder besser wird, als sie vielleicht in den vergangenen zwei Jahren gewesen ist. Die Trainer unterhalb des Nationalteams müssen den Rückhalt spüren, damit junge Athleten nachrücken können.

AVIA: Apropos: Welche Gedanken hast Du zum Rücktritt von Richard Freitag und Severin Freund?

Gerd Siegmund: Da habe ich natürlich eine Träne im Knopfloch. Zwei großartige Skispringer haben ihren Sport eine Zeitlang geprägt. Ihre Er-folge stehen auch dafür, dass Bundestrainer Werner Schuster in Ruhe arbeiten konnte und sich hinter ihnen Weltklassespringer wie Andreas Wellinger oder später Markus Eisenbichler und Karl Geiger entwickeln konnten. Severin hat nochmal alles investiert und ist mit Silber bei der Skiflug-WM belohnt worden. Auch Richard hat alles investiert, wurde aber nicht belohnt. Das ist sehr schade für ihn, da geht Severin sicher anders von der Bühne. Aber beiden kann man nur Danke sagen für das, was sie in ihren Karrieren geleistet haben.

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