Geiger braucht Initialzündung in der Heimat

Anze Lanisek und Dawid Kubacki hießen die Sieger der Generalprobe für die 71. Vierschanzentournee 2022/23. Das traditionelle Schanzenspektakel zum Jahreswechsel wirft seine Schatten voraus. Nach zwei Jahren ohne Zuschauer aufgrund der Pandemie wird es zum Auftakt am Schattenberg in Oberstdorf ein volles Haus geben. AVIA-Experte Gerd Siegmund nennt seine Topfavoriten, spricht über einen neuen Techniktrend, ein deutsches Toptalent und äußert sich insgesamt zu den Chancen der Ski-Adler von Bundestrainer Stefan Horngacher.


AVIA: Hallo Gerd, Du hast die Springen in Engelberg live verfolgt. Was glaubst Du, wer hat die besten Karten für den Tourneegesamtsieg?

Gerd Siegmund: Da verrate ich ja nichts Neues, dass der Weltcupführende mit dem gelben Leibchen, diesmal also Dawid Kubacki, immer auch als Topfavorit gilt. Aber da zahle ich gern mal was ins Phrasenschwein ein: Die Tournee hat tatsächlich ihre eigenen Gesetze. Die die Vergangenheit hat gezeigt, dass nicht immer der Mann, der in Gelb anreist, die Tournee gewinnt. Wir haben das im Vorjahr so bei Karl Geiger erlebt. Aber diesmal ist klar: Wer den Tourneesieg will, der muss an Dawid Kubacki vorbei.

AVIA: Wer kommt dafür in Frage?

Gerd Siegmund: Anze Lanisek, der eine gute Stabilität aufweist, zähle ich dazu. Auch Stefan Kraft habe ich auf dem Zettel, obwohl er in Garmisch-Partenkirchen oft mal ein Problemchen hatte. Es ist nicht so, wie man sagt, dass nach den Modernisierungen alle vier Schanze das gleiche Profil besitzen. Da gibt es schon noch kleine Unterschiede, gerade, wenn ich an den langen Anlaufradius in Bischofshofen denke. Bei Halvor Egner Granerud kommt es darauf an, dass er in den acht Wertungssprüngen seinen Fehler mit dem einhergehenden Rechtsdrall im Flug vermeiden kann. Dann ist auch mit ihm zu rechnen.

AVIA: Die Fans hierzulande wollen sicher wissen, ob die deutschen Springer nach 21 Jahren wieder einen Tourneesieger stellen können. Was sagt der Experte?

Gerd Siegmund (kleine Pause bis zur Antwort): Ich wünschte, ich könnte besseres kundtun. Aber danach sieht es nicht aus. Wenn überhaupt, dann traue ich es Karl Geiger zu. Dazu muss er aber einen Superauftakt in seinem Heimatort hinlegen. Dann kann das schon mal zu einer gewissen Eigendynamik führen. Insgesamt sprechen die Ergebnisse der deutschen Mannschaft in dieser Saison aber leider nicht dafür, dass dieser Wunsch in Erfüllung gehen könnte.

AVIA: Woran liegt es?

Gerd Siegmund: Schwierig. Ich würde mir ungern anmaßen, zu sagen, dies oder das läuft schief oder dies und das muss besser werden. Wenn alle das gleiche Topmaterial haben - und davon gehe ich aus – muss es ja ein Technikthema sein. Denn ich glaube nicht, dass ein Lanisek besser abspringt als wir. Deshalb hat sich der Trend vielleicht doch wieder etwas mehr dazu entwickelt, vom Schanzentisch den Oberkörper mehr flach zu halten und aggressiver in die Vorlage zu gehen. Diesem Stil wird zwar nachgesagt, dass er bei Rückenwind nicht so gut funktioniert. Offenbar geht es aber in Verbindung mit einer sehr planen Skiführung doch.

AVIA: Lässt sich so etwas schnell lernen? 

Gerd Siegmund: Schwierig. Zuerst muss man es wissen, ob es tatsächlich der Grund ist und sich die Technik weiterentwickelt hat in Verbindung mit den Regeländerungen des Skisprunganzugs. Das wird sicher auch mithilfe des Videostudiums der Konkurrenz analysiert. Und dann muss man es in Abstimmung mit dem Material selbst auf der Schanze umsetzen.

AVIA: Konntest Du als TV-Experte in Videoanalysen diesen Trend feststellen?

Gerd Siegmund: Zumindest sieht es so aus, dass so ein Sprung in zwei Zeiten - also erst Absprung, den Ski entwickeln lassen und dann die Flugphase – womöglich nicht mehr das Nonplusultra ist. Die Bewegung kommt bei Kubacki oder Lanisek mehr in einem Zug. Es wäre jetzt aber noch zu früh, um zu sagen, dass wir da die Entwicklung ein bisschen verschlafen haben. Zudem gab es immer wieder Situationen im Skispringen, in denen sich schnell viel bewegt hat, wenn an der richtigen Stellschraube gedreht wurde.

AVIA: Kannst Du mit Blick auf die Deutschen noch etwas Positives sagen? 

Gerd Siegmund: Kann ich: Erfreulich ist aus meiner Sicht, dass Philipp Raimund mit seinen Top-Ergebnissen im Continentalcup einen siebenten Startplatz zum Tourneeauftakt in Oberstdorf erkämpft hat. In Garmisch wird es dann zusätzlich eine nationale Gruppe mit sechs Springern geben. Philipp Raimund wird zwar nicht die Tournee gewinnen, diese zumindest nicht. Aber er macht einfach Spaß, ist ein junger frischer Mann mit Dampf in den Beinen. Wenn er seine Flugtechnik stabilisiert, werden wir in Zukunft noch viel Freude an ihm haben. 

AVIA: Vielen Dank fürs Gespräch und schöne Weihnachten !

Gerd Siegmund: Danke, ebenso!

 

Zeitplan Vierschanzentournee

  • 29. Dezember: Oberstdorf: 1. Wertungsdurchgang 16.30 Uhr
  • 1. Januar: Garmisch-Partenkirchen: 1. Wertungsdurchgang 14.00 Uhr
  • 4. Januar: Innsbruck, 1. Wertungsdurchgang 13.30 Uhr
  • 6. Januar: Bischofshofen, 1. Wertungsdurchgang 16.30 Uhr

Die letzten zehn Tourneesieger

  • 2012/13: Gregor Schlierenzauer
  • 2013/14: Thomas Diethart
  • 2014/15: Stefan Kraft (alle Österreich)
  • 2015/16: Peter Prevc (Slowenien)
  • 2016/17: Kamil Stoch (Polen)
  • 2017/18: Kamil Stoch
  • 2018/19: Ryōyū Kobayashi (Japan)
  • 2019/20: Dawid Kubacki (Polen)
  • 2020/21: Kamil Stoch
  • 2021/22: Ryōyū Kobayashi
Erstellt am:
News: Wintersport
Deutsche AVIA Mineralöl-GmbH