Timi Zajc – warum sein Flug nicht enden wollte

Spektakulär ging es in Willingen zu, turbulent und im Fall des slowenischen Überfliegers Timi Zajc auch gefährlich. Sein unendlicher Gleitflug auf 161,5 Meter hat die Anzugdiskussion im Springerzirkus noch einmal beflügelt. Was liegt da näher, als unseren Skisprungexperten Gerd Siegmund zu den Ereignissen auf der Mühlenkopfschanze zu befragen.


AVIA: Hallo Gerd, erst mal ganz allgemein: Wie schaust Du auf den Weltcup im Sauerland zurück?

Gerd Siegmund: Willingen hat wirklich alles geboten. Nach zwei Jahren Corona ohne Zuschauer haben wir wieder ein Fest mit toller Partystimmung an zwei Tagen, an denen das Stadion fast ausverkauft war, erlebt. Einfach supercool.

AVIA: Und nun das Aber …

Gerd Siegmund: Ja, auch Wind gab es leider viel. Und der hat das Dilemma, das es derzeit gibt, aufgedeckt. Nämlich, dass Skispringen bei solchen Verhältnissen nicht mehr kalkulierbar ist. Die 161,5 Meter von Timi Zajc sind eine unglaubliche Weite. Alle Beteiligten - und Timi insbesondere – können von riesigem Glück reden, dass nichts passiert ist. Ich hoffe, dass es der letzte Fingerzeig war für die Verantwortlichen im Weltverband um Sandro Pertile, zu handeln.

AVIA: Wie könnten die Konsequenzen aussehen?

Gerd Siegmund: Wir haben bestehende Regeln bei den Anzügen. Offenbar gelingt es den Springern, mit verschiedenen Tricks, ich nenne es mal Choreografien, bei der Kontrolle mit regelkonformen Anzügen durchzukommen. In der Luftfahrt sieht das dann aber manchmal nicht mehr so regelkonform aus, wenn man den vergrößerten Schrittbereich betrachtet.

AVIA: Dann gefährden die Springer ihre Gesundheit selbst, um konkurrenzfähig zu sein?

Gerd Siegmund: So sieht es zumindest aus. Ein Schweizer Springer hat sich auch schon anonym geäußert, dass es ohne zu große Anzüge gar nicht mehr möglich sei, vorn mitzumischen. Es muss knallhart und ohne Rücksicht auf große Namen bei den Kontrollen durchgezogen werden. Es darf nicht die Gesundheit der Athleten auf dem Spiel stehen.

AVIA: Hast Du mit Timi Zajc über das Thema sprechen können?

Gerd Siegmund: Nicht persönlich, aber aus guter Quelle weiß ich, dass Timi Zajc nach diesem Wahnsinnsflug gesagt hat, dass er keine Chance hatte, herunterzukommen. Und dies macht mich sehr nachdenklich. Also zu meiner Zeit ist auch mal der Anlauf nicht richtig kalkuliert worden. Es kam plötzlich Aufwind und du standst gleich mal zwei Etagen höher in der Luft. Dann hat man den Flug einfach abgebrochen. Arme hoch, aus der Vorlage raus und fertig. Aber dieser Flug von Timi war so, wie wenn sich ein Extremsportler mit spezieller Verkleidung von einem Berg stürzt, die Arme ausbreitet und kilometerlang durch die Landschaft segelt.

AVIA: Das klingt danach, dass im Frühjahr wieder einmal das Material neu reglementiert wird.

Gerd Siegmund: Ja, während einer Saison kann man dies nicht machen. Aber auf dem Kongress des Weltverbandes und schon zuvor sollte dieses Thema auf der Agenda stehen.

AVIA: Noch ein Wort zu den deutschen Skiadlern und den Damen?

Gerd Siegmund: Erst einmal Hut ab, wie sich die Springerinnen den schwierigen Verhältnissen im Mixedteam gestellt haben. Katharina Althaus hat im Einzel ihre Weltklasse bewiesen, auch Selina Freitag geht weiter ihren Weg. Bei den Herren fehlt noch der letzte Tick fürs Podest. Kar Geiger ist verbessert zurückgekehrt. Bis er aber wieder ganz der Alte ist, braucht es auch noch eine Steigerung.

AVIA: Vielen Dank fürs Gespräch.

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