Hut ab vor den historischen Fliegerinnen!

Ein historisches Wochenende im Skispringen: Erstmals sind Frauen offiziell in einem Wettkampf unter der Fahne des Skiweltverbandes FIS auf einer Flugschanze angetreten. Grund genug für AVIA, seinen Experten nach der Norwegen-Tournee zu befragen.


AVIA: Hallo Gerd, nur fliegen ist schöner gilt jetzt auch für die Skispringerinnen. Was sagst Du zu diesem Wochenende in Vikersund?

Gerd Siegmund: Also wenn ich einen Hut aufhätte, würde ich ihn jetzt ziehen. Ich gebe zu, ich war vorher skeptisch. Was aber von den 15 Damen geleistet wurde, nötigt Respekt ab. Zum Glück haben die Verhältnisse mitgespielt. Die Weltrekordweite von 226 Meter durch Ema Klinec – das war eine Augenweide und sicher ein Höhepunkt.

AVIA: Die Streuung unter den besten 15 der Raw-Air-Tournee war dennoch riesig, die Entscheidung, das Starterfeld zu begrenzen, sicher richtig, oder?

Gerd Siegmund: Absolut. Das sollte man vorerst auch so beibehalten, ein-, maximal zweimal Skifliegen für die Damen sind als Höhepunkt in einer Saison bestimmt machbar. Der nächste Schritt wäre vielleicht die Anlage in Oberstdorf. Dass die Streuung so groß ist, hat auch mit dem Profil der Anlage in Vikersund zu tun, da sie oben sehr flach geht. Da bleiben auch mal welche hängen bei 140 bis 160. Bei den Herren passiert das aber auch, aber dann sind es eben die Plätze ab 35. 

AVIA: Ist Dir ein Unterschied zu den Herren aufgefallen?

Gerd Siegmund: Man hat gesehen, dass die Damen sich logischerweise herantasten mussten. Insofern war es auch schade, dass das erste Training ausgefallen ist. Aber sie sind von Flug zu Flug besser geworden. Jetzt wissen die Damen, was auf sie zukommt beim Fliegen. Jury und Wettkampfmanagement hatten auch alles im Griff. Und die Damen haben es mit Bravour gelöst. Die Erfahrung in Vikersund ist enorm wichtig für die Entwicklung der Sportart gewesen.

AVIA: Kommen wir zu den Herren, wie schätzt Du die Tournee in Norwegen ein?

Gerd Siegmund: Ich würde sagen, die Raw Air (wörtlich übersetzt raue Luft) hat ihrem Namen alle Ehre gemacht. Das ist wirklich eine harte Tour gewesen, gerade mit den Verhältnissen wie in Lillehammer, plus das Skifliegen hintendran und jeder Sprung zählt - das ist schon eine fette Nummer. Also Halvor Egner Granerud, Stefan Kraft und Anze Lanisek haben sich ihre Extrapreisgelder redlich verdient. Schön war auch, dass es bis zum Schluss spannend um den Sieg zuging.

AVIA: Welchen Spannungsbogen siehst Du mit Blick auf die deutschen Ski-Adler?

Gerd Siegmund: Es ist deutlich aufgedeckt worden, dass wir wie schon in der ganzen Saison im flugtechnischen Bereich nicht mithalten können. Das klingt hart, ist aber so: Die kleine Schanze hat bei der WM die Saison gerettet mit Silber und Bronze sowie dem Mixed-Gold. Das ist auch keine Überraschung, weil wir im Feld mit die besten Abspringer sind. Aber was das Fliegen angeht, haben wir diese Saison ein Problem.

AVIA: An was liegt das?

Gerd Siegmund: Meiner Meinung nach an der Sprungtechnik. Da hat sich etwas geändert. Früher ist man weggesprungen, wenn die Kante gut getroffen wurde, kam der Springer in eine gute Lage. Vereinfacht gesagt, konnte er sich dann im Flug treiben lassen bis zur Landung. Heute ist das anders. Der Sprung ist nicht nach dem Absprung beendet, man dreht die Flughaltung noch – ich würde es als aktives Fliegen beschreiben. Da haben wir im Sommer etwas verpasst. Nachdem es das Hüftband im Anzug nicht mehr gibt, strömt auch wieder mehr Luft in den Beinbereich des Anzugs. Und das gibt einem mehr Spielraum, den Flug aktiv zu gestalten.

AVIA: Wie schnell lässt sich so etwas lernen?

Gerd Siegmund: Dazu muss man erstmal im Frühjahr schauen, ob es Veränderungen am Materialsektor gibt. Aber so etwas zu lernen, geht nicht von heute auf morgen. Viele Komponenten, gerade Materialveränderungen, spielen da mit rein. Ich denke auch, dass es Sinn macht, im Windkanal in Schweden zu testen. Polen und Slowenen sind dort gewesen. Dawid Kubacki hat so seine Umstellung bewältigt. Im Gegensatz zum Windkanal hier in Deutschland wirst du dort nicht in Gurte eingespannt. Man kann den Flug so besser nachempfinden, schauen, was passiert, wenn man den Ski planer stellt und so weiter. Quasi kann man vor- und zurückfliegen.

AVIA: Das klingt nach viel Arbeit?

Gerd Siegmund: Ja, klar. Wir sind Fünfter im Nationencup. Ich sage auch nicht, dass wir das nicht können. Es ist auch kein Hexenwerk. Es muss aber was passieren.

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