„Es gab einfach einen Besseren“

Der König kommt aus Japan: Ryoyu Kobayashi hat die 72. Vierschanzentournee gewonnen und beim Finale in Bischofshofen das Duell mit Andreas Wellinger klar für sich entschieden. AVIA-Skisprungexperte Gerd Siegmund erklärt im Interview, warum die Tournee so endete wie sie endete und ob er einmal in aktiven Zeiten seine Bretter vergessen und ohne Ski auf dem Schanzenturm stand.


AVIA: Hallo Gerd, wie bewertest Du das am Ende deutliche Ergebnis?

Gerd Siegmund: Ein bisschen hat es sich im Training und in der Qualifikation bereits abgezeichnet. Ryoyu Kobayashi ist in Bischofshofen gleich sehr gut zurechtgekommen, während Andi Wellinger auf der Suche war. So hat der Japaner auch sofort ein Zeichen gesetzt und nach außen demonstriert: Hej, mein Freund, ich bin hier, um das Ding zu gewinnen.

AVIA: Dabei hat der Deutsche – allein schon wegen der geografischen Nähe - sicher mehr Trainingssprünge auf beiden Anlagen zu Buche stehen. Warum gab es die Probleme bei der Umstellung?

Gerd Siegmund: Ryoyu kennt die Schanzen mittlerweile auch sehr gut. In dem Fall geht es mehr um den Moment, um das Körpergefühl zu dem Zeitpunkt dieser Tournee. Der Heimvorteil der vielen Trainingssprünge ist okay, aber da muss man eben auch die Schanzentischkante treffen. Kobayashi hat während der Tournee seine Stabilität erlangt, die er in diesem Winter zuvor noch nicht so hatte. Er ist der verdiente und würdige Gesamtsieger – mit viermal Platz zwei im Übrigen.

AVIA: Der Geschwindigkeitsvorteil des Deutschen kam in Bischofshofen auch nicht so zum Tragen, wie es zu erwarten war. Warum?

Gerd Siegmund: Das ist schwierig zu beurteilen. Unabhängig davon, ob Andi vielleicht nicht so locker in der Anfahrtshocke saß, hätte es am Ende nicht zum Sieg gereicht. Dafür war die sportliche Leistung in Innsbruck und auch zum Finale nicht gut genug. Dennoch ist er eine hervorragende Tournee gesprungen. Aus meiner Sicht muss er sich nichts vorwerfen. Es gab einfach einen Besseren.

AVIA: Und aus aktuellem Anlass eine Frage: Hast Du mal in aktiven Zeiten Deine Skier vergessen, als Du an den Ablauf gegangen bist?

Gerd Siegmund: Nein, und ich kenne auch keinen Skispringer, dem es jemals passiert ist, dass er das schwerste und wichtigste Utensil auf dem Weg zum Turm vergessen hat. Und das war auch bei Ryoyu Kobayashi nicht so. Weil diese Ente nun durch die Sportwelt flattert, kann ich dazu nur sagen: Aus der Trainerschaft der Japaner weiß ich, dass Kobayashi zunächst zu seinem Ersatzski gegriffen hatte. Oben merkte er dann, dass die Skier noch das eingebügelte Wachs auf der Lauffläche hatten. Sein Servicemann hat ihm dann die richtigen Bretter schnell nach oben getragen.

AVIA: Das sah ziemlich hektisch aus. Ist Ryoyu also doch nicht der Japaner, der in sich ruht?

Gerd Siegmund: Doch, er ist ein cooler Hund. Vielleicht hat ihm das Missgeschick sogar gutgetan, weil er so von allem ein bisschen abgelenkt wurde. Brille, Startnummer vergessen oder die Ski des Kollegen erwischen – das hat es alles schon gegeben. Aber Ski? Nein, sowas geht nicht. Es kann ja vielleicht sein, dass Ryoyu mal ein bisschen verbummelt ist oder was verlegt. Aber dass nun ganz Deutschland denkt, dass er ein zerstreuter Professor ist, wird dem sicher nicht gerecht.

AVIA: Vielleicht lässt sich das in der deutschen Öffentlichkeit noch aufklären?

Gerd Siegmund: Bestimmt. Es geht auch gleich scharf weiter mit der neuen Polen-Tour, bei der es u. a. auch einen Superteam-Wettbewerb geben wird. Wie spannend es im Skispringen auch diesen Winter zugeht, hat die Tournee mit vier verschiedenen Einzelsiegern gezeigt. Trotz des zähen Saisonbeginns der Polen denke ich, dass die Stadien dort voll sein werden. Die Begeisterung der Fans wird so schnell nicht abebben.

AVIA: Danke fürs Gespräch.

Erstellt am:
News: Wintersport
Deutsche AVIA Mineralöl-GmbH