Skiflugspektakel am Kulm – wer hat die besten Karten?


Nach der Polen-Tour ist vor der Skiflug-WM. Das nächste Saisonhighlight nach der Vierschanzentournee steht am Wochenende in Bad Mitterndorf an. Wer sind die Favoriten? Aktivieren Deutschland und Japan ihre Altmeister Markus Eisenbichler und Noriaki Kasai? Und was ist das Besondere an einer Skiflug-Weltmeisterschaft? Darüber hat sich AVIA mit seinem Skisprungexperten Gerd Siegmund unterhalten.

AVIA: Hallo Gerd, zunächst noch ein Wort zur Polen-Tour.  Wie schätzt Du die Premiere ein?

Gerd Siegmund: Ich denke, es war eine gelungene Veranstaltung, die es wert ist, in einem Winter ohne Olympia oder nordische WM zu wiederholen. Ich hätte nicht geglaubt, dass sich die Slowenen in Zakopane noch von den Österreichern abfangen lassen. Aber das Ergebnis spiegelt den Stand im Weltcup wider. Die Springer von Chefcoach Andi Widhölzl stellen momentan die kompletteste Mannschaft.

AVIA: Die Begeisterung der Fans war trotz der Schwierigkeiten, die Polens Springer derzeit hat, gerade in Zakopane dennoch riesig. Bei der Skiflug-WM am Kulm wird es vermutlich ähnlich spektakulär, oder?

Gerd Siegmund: Ganz sicher. Stefan Kraft hat mit seinem Sieg nochmal kräftig die Werbetrommel gerührt. Er zählt zu den Topfavoriten auf Gold. Ihn, Anze Lanisek und Ryoyu Kobayashi sehe ich auf Augenhöhe. Dazu kommt noch Andreas Wellinger, der nach wie vor in bestechender Form ist. Auch Lovro Kos habe ich mit Außenseiterchancen auf dem Zettel.

AVIA: In Deiner Aufzählung fehlt ein Norweger. Sie sind als gute Flieger bekannt und stellen mit Marius Lindvik auch den Titelverteidiger.

Gerd Siegmund: Die bisherige Saison spricht etwas anderes. Wenn, dann sehe ich nur Johann André Forfang, der vorn etwas bestellen kann. Da muss er aber stabil springen und darf keinen Aussetzer haben.

AVIA: Was könnte am Kulm das Zünglein an der Waage sein?

Gerd Siegmund: Ich befürchte, dass die Windeinflüsse schon eine Rolle spielen werden. Beim Fliegen wirkt sich alles nochmal mehr aus, weil alles größer ist. Deshalb hoffe ich, dass alles einigermaßen fair zugeht.

AVIA: Was ist sportlich betrachtet vor allem wichtig?

Gerd Siegmund: Generell bei einer Skiflug-WM ist das Besondere, dass der Sieger erst am zweiten Tag und nach vier Durchgängen feststeht. Das verlangt eine hohe Ausgeglichenheit und vor allem mentale Stärke. Gerade für den Halbzeitführenden ist es nicht einfach, die „Ich-kann-gewinnen-Gedanken“ auszublenden, sich auf das Wesentliche zu fokussieren und in der Nacht zum Samstag gut zu schlafen. Ich erinnere mich an die WM 2004 in Planica. Da führte Georg Späth nach dem ersten Tag mit gutem Vorsprung, wurde aber am Ende Vierter.

AVIA: Wie siehst Du die Chancen der deutschen Ski-Adler im Team?

Gerd Siegmund: Da sind wir leider Außenseiter. Pius Paschke und Karl Geiger haben nach einem starken Dezember ein bisschen den Faden verloren. Auf der Flugschanze werden die Abstände zu den Besten normalerweise noch größer. Aber der Absprung, obwohl der inzwischen auch beim Fliegen dazugehört, hat nicht diesen ganz großen Stellenwert wie auf einer kleineren Anlage. Da geht es um Fluggefühl, um mentale Dinge. Ich hoffe, dass die beiden über diese Schiene wieder besser in Schwung kommen und die Deutschen um die Medaille mitspringen werden.

AVIA: Wäre es unter diesem Aspekt möglich, dass die Fans am Kulm den einen oder anderen Altmeister wiedersehen werden?

Gerd Siegmund: Auszuschließen ist das nicht. Man mag es kaum glauben: Noriaki Kasai hat mit 51 Jahren bei den Conti-Cups in seiner Heimat Sapporo die Plätze 9, 11 und 21 belegt. Das ist nicht so schlecht, und beim Skifliegen braucht es nicht die absolute Power in den Beinen.

AVIA: In Deutschland gibt es auch noch einen Bronzemedaillengewinner der Skiflug-WM 2020 in Planica, und der ist mit 32 Lenzen im Vergleich zum Japaner ein Jungspund…

Gerd Siegmund: Ja, eine spannende Frage. Aber wie die Verfassung von Markus Eisenbichler ist, darüber hält sich der Deutsche Skiverband eher bedeckt. Seine letzten Wettkämpfe im COC Anfang Januar in Garmisch gingen in die Hose. Wenn er aber einigermaßen in Form wäre, ist es eine Überlegung wert, Markus als fünften Mann mitzunehmen. Er besitzt die Qualitäten zum Skifliegen. Aber klar ist auch, dafür braucht es auch eine Grundform und -stabilität. Wahrscheinlicher ist, dass er am Wochenende beim COC in Willingen springt.

AVIA: Danke fürs Gespräch.

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