Österreichische Meisterschaften mit internationaler Beteiligung auf der WM-Schanze von 2025: So hat sich am Mittwoch der Großschanzen-Weltcup der Herren in Trondheim angefühlt. Stefan Kraft vor Daniel Tschofenig, Jan Hörl und Daniel Huber lautete die Reihenfolge nach dem WM-Test in der Provinz Tröndelag. Wir haben danach unseren Skisprung-Experten Gerd Siegmund mit Fragen gelöchert, auch zur Damenkonkurrenz.
AVIA: Hallo Gerd, Stefan Kraft hat auf Dich gehört und schon eine Hand an der großen Kugel. Oder glaubst Du noch an ein Wunder?
Gerd Siegmund: Nein, der Weltcup ist durch. 303 Punkte Vorsprung auf Ryoyu Kobayashi bei noch vier ausstehenden Fliegen werden reichen, um nach 2017 und 2020 zum dritten Mal die große Kristallkugel zu holen. Das hatte sich angedeutet. Dass Ryoyu einmal in Oslo und Andreas Wellinger am zweiten Tag in Trondheim schwächelten, hat die Entscheidung sogar beschleunigt.
AVIA: Hast Du eine Erklärung für diese ungewöhnliche Dominanz der Österreicher?
Gerd Siegmund: Sie springen einfach technisch gut. Und sie haben eine unglaubliche Breite an Spitzenspringern. Ein Fettner oder Hayböck wissen, wenn sie nachlassen, sind sofort zwei andere da. Jonas Schuster, der im COC den zusätzlichen Weltcup-Quotenplatz für Österreich geholt hat, war ja noch gar nicht dabei, auch nicht Juniorenweltmeister Stephan Embacher. Also da gibt es schon eine gewisse Eigendynamik, die sich positiv auf die Leistung auswirkt.
AVIA: So sieht es danach aus, dass mit Kobayashi als Sieger der Vierschanzentournee und Kraft als Skiflug-Weltmeister und Gesamtweltcupgewinner die Titel in diesem Winter ohne Deutschland verteilt bleiben.
Gerd Siegmund: Das wird so sein, wobei ein Weltrekord mehr als ein schwacher Trost wäre… Aber danach sieht es nun auch gerade nicht aus. Philipp Raimund hätte in Trondheim ohne den Ausrutscher im Auslauf als vermutlich Vierter oder Fünfter ein ausgezeichnetes Resultat eingefahren. Auch Rang elf von Pius Paschke ist okay. Andreas Wellinger ist von Anfang an auf der Großschanze nicht zurechtgekommen. Aber solche Tage gibt es mal.
AVIA: Lässt er – auch mit Blick auf Oslo - körperlich federn?
Gerd Siegmund: Es ist für alle eine lange Saison. Gegen diese These spricht, dass er am Vortag auf der kleinen Anlage, wo es mehr auf die Explosivität beim Absprung ankommt, Vierter geworden ist. Also ich würde diesen Ausrutscher mit Platz 28 jetzt nicht überbewerten.
AVIA: Welchen Eindruck hast Du von den neugebauten Anlagen in Trondheim, wo 1997 schon einmal eine Weltmeisterschaft stattfand?
Gerd Siegmund: Optisch sind sie sehr schön geworden. Von den Damen und Herren der Lüfte habe ich auch nur positive Stimmen gehört. Ich denke, dass die Großschanze keine Fehler verzeiht. Da muss schon alles stimmen, wenn man vorn mitmischen will.
AVIA: Bei den Damen springt sich Eirin Maria Kvindal immer mehr in den Vordergrund. Was glaubst Du, wird sie trotz ihrer Landeproblematik nach einem Kreuzbandriss beim Fliegen in Vikersund starten?
Gerd Siegmund: Da bin ich bei ihrem Trainer, der ihr das freigestellt hat. Nur sie allein kann einschätzen, ob sie das Zutrauen und auch das Vertrauen in ihr Knie hat. Sie möchte sich nach meinen Informationen vor Ort alles anschauen und dann entscheiden. Wenn sie es will, wird ihr Coach sicher erneut sehr konservativ den Anlauf wählen, damit Kvandal nicht zu weit fliegt. Das könnte nämlich bei Aufwind mit ihrer sehr guten Technik und dem leichten Körpergewicht schnell passieren.
AVIA: Aus deutscher Sicht sind zwei Springerinnen am Start, die sich um den historischen ersten 200-m-Flug einer deutschen Frau bewerben.
Gerd Siegmund: Ja, neben Katharina Schmid ist das noch Selina Freitag, die sich über eine neue FIS-Regel qualifiziert hat. Demnach dürfen neben den Top 15 der Welt noch bis zu fünf weitere Springerinnen, die in den Top 15 der Raw-Air-Tournee platziert sind, in Vikersund fliegen. Eine gute Regel, wie ich finde. Ich bin sehr gespannt, wie sich die Damen nach der Premiere im Vorjahr entwickelt haben und den Monsterbakken meistern werden.
AVIA: Danke fürs Gespräch.